Jubiläum zum 375. Jahr der Gründung
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Jubiläum zum 350. Jahr der Gründung
von Pfarrer Reinhold Steinröder
Bezirkspräses des Südbundes
Abschrift des original Redemanuskriptes
Christliches Bruderschaftswesen
Versuch einer Standortbestimmung
Festvortrag zum 350jährigen Jubiläum der St. Katharina – Schützenbruderschaft Thorr (23.11.85)
Es ist für mich – und ich denke für uns alle – eine große Ehre, heute bei diesem ehrwürdigen Jubiläum hier in Thorr dabeisein zu dürfen; und ich danke dem rührigen Vorstand, dass ich hier zu Ihnen
sprechen darf: 350 Jahre St. Katharina – Schützenbruderschaft – wir blicken nicht nur mit Hochachtung auf dieses ehrwürdige Alter, sondern auch auf das wirklich blühende Leben dieser
Bruderschaft in der Gegenwart und in der heutigen Zeit dazu; und manch andere Bruderschaft in ihren Existenzsorgen wird es auch – wie ich – mit ein bisschen Neid dazu tun.
Bei einem solchen denkwürdigen Anlass fragen wir uns, worum´s uns in den Schützenbruderschaften eigentlich geht. Manch Außenstehender – wir wissen das – denkt dann gleich: „Worum es den Schützen
geht? – Ist doch klar: um´s Bier trinken!“ – Das muss uns eigentlich gar nicht beunruhigen, solange wir wissen worum´s uns geht. Solange wir im Auge behalten, was uns wichtig ist, kann uns das Bier
auch weiterhin gut schmecken!
Worum es unserer jahrhundertealte alten Einrichtung zu tun war und ist, sagt der Name: Bruderschaft, eine Gruppe von Menschen, die sich als Brüder verstehen und als Schwestern neuerdings auch, auf
der Grundlage des christlichen Glaubens. Das heißt also: ein Kreis von Menschen mit solchen intensiven Beziehungen untereinander, dass sie als Brüder und Schwestern erfahren, achten, umgehen und
ansehen. Das aber ist in der langen Geschichte unserer Bruderschaften noch nie so schwierig und so wenig selbstverständlich gewesen wie heute.
Lassen Sie mich dazu eine kleine, alte jüdische Geschichte erzählen: Moises kommt zum Rabbi und fragt: „Rabbi, wie kommt´s? Kaum haben die Leute ein bisschen Geld, sehen sie nur noch sich selbst!“
Der Rabbi erklärt. Dann nimmt er den Moises an der Hand, führt ihn zum Fenster und sagt: „Schau hinunter auf den Marktplatz. Was siehst du dort?“ Darauf Moises: „Da sehe ich viele Leute!“ Der Rabbi
führt Moises weiter vor einen Spiegel: „Und was siehst du jetzt?“ „Da sehe ich nur noch mich selbst.“ „Siehst du,“ so folgert der Rabbi, „kaum ist eine bisschen Silber dahinter, siehst du nur noch
dich selber.“
In der tiefen Sehnsucht nach zwischenmenschlichen Beziehungen tun sich in unserer heutigen Gesellschaft Probleme auf wie noch nie zuvor. Das Urverlangen des Menschen nach Bruderschaft sieht sich
heute vor Hindernisse gestellt, die unsere Vorfahren in den Bruderschaften so nicht gekannt haben.
Ein erstes Hindernis hat zu tun, mit der Art und Weise, wie wir Güter herstellen und verbrauchen. Wir produzieren heute so viele Güter, dass wir auf ihnen sitzen bleiben. Damit wir dennoch weiter
produzieren können, formen wir den Menschen um. Wir machen seine Bedürfnisse steuerbar. Der Mensch ist dann nicht mehr aus - nach dem Leben, nach dem Glück, nach der Liebe, nach der Bruderschaft; er
wird vielmehr umgemodelt zu einem, der aus ist nach Waren. Wir haben gelernt, uns viel leisten zu können, und sind dazu bereit, viel zu leisten. Also haben jene Recht, die sagen, wir leben in einer
Warenkultur, wir haben eine materialistische Einstellung. „Industriegesellschaft, Konsumgesellschaft, Überflussgesellschaft, Wegwerfgesellschaft!“
In der Tat sind wir eine an Gütern überreiche Gesellschaft geworden. Alte Knappheiten haben wir überwunden, neue uns eingehandelt. Knapp sind nämlich nicht nur gute Luft, sauberes Wasser, freie Zeit,
knapp ist auch Verlässlichkeit, Treue, Rücksicht, Toleranz, Ehrlichkeit, die Fähigkeit zu Beziehungen, also all das, was den Bruderschaften hoch und heilig ist, was für ihre Existenz grundlegend war
und ist. Ich kann auch sagen: Knapp sind „Glaube, Sitte, Heimat!“ Es muss geradezu dann die Folge sein, dass psychische Erkrankungen des Menschen in einem nie da gewesenen Ausmaß zunehmen. Es
kommt hinzu, dass das frühere Streben nach Sinngebender Arbeit zum erbarmungslosen Konkurrenzkampf um gut bezahlte Jobs, durch die man sich möglichst viel an materiellen Gütern leisten kann
geworden ist, von der Grundschule angefangen bis hin zum Arbeitsmarkt. Da gewinnen die einen und die anderen verlieren. Unsere Konsumgesellschaft ist in ihrer Tendenz unsolidarisch,
beziehungsfeindlich; sie behindert Beziehungen der Menschen untereinander. Wer kann sich ihr entziehen? Es stimmt schon, was der Rabbi sagte: Kaum ist ein bisschen Silber dahinter, siehst du nur noch
dich selbst. – (Der Mensch, einmal auf den egoistischen Trip gelockt, verlässt diesen Weg nicht. Und wenn er dabei den Überdruss am Überfluss erlebt, dann bleibt halt für viele: Selbstverwirklichung,
aber auf Kosten anderer. Beispiel Partnerschaft / Ehe! Solange der Partner mir hilft, das aus mir zu machen, was ich aus mir machen möchte, wird er gehalten. Wenn er mir nicht mehr nützt oder sich
ein besserer findet, darf er gehen.)
Damit sind wir beim zweiten Hindernis für das Anliegen unserer Bruderschaften, zwischenmenschliche Beziehungen zu schaffen und zu erhalten: Was nicht nützt, hat auch kein Recht zu existieren!
In unserer Gesellschaft muss alles was bringen. Was nichts bringt, taugt auch nicht; bis hin zur Religion: Eine Messe, die mir nichts bringt, ist nichts. Ein Gott, der nicht beweisen kann, dass er
eine Lebenshilfe ist und mich glücklich macht, ist nichts. Einen Gott, der nichts gebracht hat in meinem Leben, als es darauf ankam, lasse ich fallen. Eine Natur, die meint, sie könne einfach sein,
ohne für den Menschen nützlich zu sein, hat kein Lebensrecht. (Wer da ein bisschen weiterschaut, dem wird klar, dass der Mensch nicht nur die Natur ruiniert, sondern am Ende sich selbst und sein
Verhältnis zu sich selbst. Wir sind soweit, dass nicht nur die Natur vor dem Menschen geschützt werden muss, sondern schon der Mensch…)
Tief in unserer heutigen Kultur und Gesellschaft steckt also das Gesetz des Zweckdendens. Gut ist, was nützt. Genau dieses Zweckdenken aber zerstört unserer Beziehungen: zur Natur, zum Mitmenschen,
zu uns selbst und in all dem zu Gott. Denn Gott können wir nicht verzwecken, nicht manipulieren, nicht gefügig machen, nicht zum Erfüllungsgehilfen unserer Bedürfnisse machen und nicht beherrschen.
Es ist ein Geheimnis und bleibt es. Und wenn der Mensch „nach dem Bilde Gottes“ ist, gilt für ihn dasselbe. – (Aber unsere Gesellschaft kann den Menschen eben nicht brauchen als unantastbares
Geheimnis. Sie verwaltet und vergewaltigt ihn als steuerbares und befriedigbares Bündel von Bedürfnissen. Je vereinzelter der Mensch dabei ist, umso leichter ist die Beeinflussung und Verführung.
Denn in Gemeinschaft gäbe es ja möglicherweise mehr Widerstand gegen die Konsumverführung. Erahnen wir, wozu wir als Bruderschaften heute herausgefordert sind, was unsere Aufgabe und Chance in einer
vom Zweckdenken terrorisierten Gesellschaft ist?)
Und ein drittes Hindernis in unserem Bemühen um zwischenmenschliche Beziehungen und damit auch in unseren Bruderschaften: Es ist die Versuchung, aus einem Menschen im Grunde einen Gott zu machen. Die
Sehnsucht in uns Menschen ist maßlos, geht ins Unendliche. Maßlos ist unsere Sehnsucht nach Erkennen und erkannt werden, Wünsche nach Freiheit, nach Verwurzeltsein und Dazugehören. Und nun begegnet
uns der endliche Mensch, an dem wir unsere maßlosen Wünsche festmachen und den wir damit andauernd überfordern. Nichts zerstört unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sosehr, wie die dauernde
Überforderung des anderen. Weil der andere nicht wahrhaft so sein darf wie er ist, nämlich Mensch, sondern sein soll wie Gott, zerstören wir dauernd unsere Beziehungen. – Nur wenn wir unsere
unendliche Sehnsucht an Gott festmachen, kommt unser Herz zur Ruhe, und der andere Mensch wird befreit davon, dass wir ihn dauern überfordern. Wir können es aushalten dann, dass der andere begrenzt
ist, endlich, fehlerhaft, sündig – übrigens wie wir selbst auch.
Diese Hindernisse kennzeichnen die gesellschaftliche Situation, in der unsere Bruderschaften heute stehen und mit der sie sich sorgfältig auseinandersetzen müssen, wollen sie nicht resignierend
untergehen in der Feststellung, dass sie es noch nie so schwer hatten wie heute….
Lassen Sie mich abschließend einige Hinweise in die Zukunft geben, die andeuten, worauf es in unseren Bruderschaften ankommt:
1. Es kommt darauf an, dass wir in unseren Bruderschaften nicht den Fehler machen, dass jeder soviel wert ist, wie er leistet, sondern wie er in Wahrheit ist, dass jeder so sein darf, wie er ist.
2.Es kommt darauf an, dass wir einander nicht überfordern, sondern in der Begrenztheit und Sündigkeit achten und respektieren und dass wir unsere unendliche Sehnsucht nach Liebe und Angenommensein,
nach Glück und Zufriedenheit an Gott festmachen.
3.Es kommt darauf an, dass wir gerade im Blick auf den Mitmenschen, den Bruder, das Zweckdenken “Gut ist, was nützt“ überwinden, in dem wir uns wirklich zusammenschließen als Brüder und Schwestern
und die Einmaligkeit, das Geheimnis jedes Menschen achten, weil wir das Geheimnis Gottes achten. “Gegen den Strom Schwimmen!“
4.Es kommt darauf an, dass wir für zwischenmenschliche Beziehungen kämpfen: zwischen den Generationen, zu den Kranken und Alten, zu den Alleinstehenden und denen, deren Lebensweg gescheitert ist, zu
den Neuzugezogenen, zu den Arbeitslosen, über den eigenen Kirchturm hinaus, möglicherweise zu anderen Ländern und Völkern, bis in die dritte Welt hinein, damit wir entdecken: es zählt auch noch etwas
ganz anderes in der Qualität unseres Lebens als die fragwürdigen Waren einer Konsumgesellschaft.
5.Es kommt darauf an, dass wir die Güter hoch und heilig halten, die für unsere Bruderschaften grundlegend waren und sind und bleiben: Treue, Zuverlässigkeit, Einsatzfreude, Rücksichtnahme,
Ehrlichkeit und Offenheit, die Bereitschaft zu Verzeihen und immer neu anzufangen.
Die gesellschaftliche Situation, in der wir leben, ist für unsere Bruderschaften eine nie da gewesene Herausforderung von historischer Bedeutung. Davor die Augen zu verschließen würde bedeuten, dem
Bruderschaftswesen den Grabgesang anzustimmen. Diese Herauforderung aber annehmen eröffnet gewiss neue Chancen und Wege in die Zukunft, wenn es auch mit viel Kampf und großem Einsatz verbunden ist.
Wenn ich jedoch unsere blühende Thorrer Bruderschaft sehe, bin ich zuversichtlich. Und ich denke, in jeder Bruderschaft, mag sie noch so klein sein, steckt das Potential, steckt die Kraft überleben
zu wollen in zwischenmenschlichen Beziehungen, in der Gemeinschaft weil es uns nicht um irgendeine folkloristische Freizeitbeschäftigung zu tun ist, sondern um ein Urverlangen jedes Menschen nach
gelingendem Leben.
Dank und Gratulation!
Reinhold Steinröder, Bez.pr. – BM Süd